So, nach bald drei Tagen teils ausführlicher Testfahrten mit dem Fury "100" meines Händlers hier endlich mein erster persönlicher Eindruck von dem Gefährt, plus auch der ernüchternde Eindruck eines GPS...
Auch ein Kelly KBL Controller weiß sich vor hohen Anfahrströmen zu schützen, aber lässt sich leider nicht von Kundenhand zu mehr Dampf beim Anfahren umprogrammieren, da hardcoded: Bis ca. 20km/h (echte, nicht Tacho...) geht es keinen Deut schneller voran als mit meinem 50ccm Stinker und seiner schleifenden Fliehkraftkupplung, erst dann lässt der Kelly die Stromzügel locker und die geballten ~70V des Akkupacks fallen über den Radnabenmotor her, dass man unwilkürlich die Lenkergriffe etwas fester packt. Das gilt sowohl für den diodengedämpften L-Modus (natürlich in leicht abgeschwächter Form) als auch für den freien H-Modus. Der Schub hält im H-Modus an bis ca. 65 echte km/h und fällt dann sachte ab bis zu den bei Temp. um die 0°C mit Winterreifen und Fahrer mit 100kg Kampfgewicht maximal möglichen echten 80km/h. Letzteres hat meine Euphorie über die vorige "Beschleunigungsorgie" ganz schön gedämpft

Der Tacho zeigt dabei schon die versprochenen 95-100km/h an, aber sowohl der Verkehr hinter einem wie auch das GPS bescheinigen satte 23% Voreilung des zum Schätzometer verkommenen Tachos
So, jezt ist die Katze aus dem Sack, und auch schon die einzigen
wirklichen Schwachpunkte des E-Sprit Fury sind hiermit aufgezählt. Zumindest solche, die in 3 Tagen auffallen...
Nun zu den, zusätzlich zum fulminanten Durchzugsvermögen bei mittlerem Tempo, erfreulicheren Seiten: Der Fury giert nach Steigungen, da werden die maximalen 160Nm deutlich spürbar. Nur zum Anfahren sollte es nicht ZU steil werden. Aber wenn die Fuhre etwas in Schwung ist, eben so ab ca. 20km/h geht es richtig heftig bergauf.
Im Stadtverkehr ist dagegen der L-Modus außer bei wirklich steilen Steigungen von über 15% gut geeignet und schützt vor zu ungestümem Fahren, da bei echten 54km/h Schluss ist. Es herrscht im gesamten Geschwindigkeitsbereich eine angenehme Dosierbarkeit der Antriebsleistung - auch winterliches Fahren wird somit möglich, und meine Fahrhand schmerzt nicht. Die Bremshebel haben einen deutlichen Leerweg, da gleich am Anfang die Bremslichtschalter die Rekuperationsbremsung starten. Mit etwas Übung kann so fast ganz auf tatsächlich anliegende Bremsbeläge verzichtet werden beim Verzögern. Wenn nötig liegen sie jedoch sehr wirkungsvoll an. Allerdings führt starkes Bremsen bei diesem speziellen Exemplar zu einem leichten Hüpfen des Vorderrades. Vielleicht ein ungünstiges Zusammenspiel des etwas groben Profils der Sava Winterreifen und der vorderen Stoßdämpfer?
Apropos Sava Winterreifen: Sie führen (wie früher schon berichtet) dazu, dass der Lenker in Kurven mit etwas Nachdruck hineingedreht werden muss. Aber selbst so ist das gute Kurvenverhalten des Fahrwerks spürbar, und die Reifen kleben wie Klette an der kalten Straße. Der Fury ist bei Bedarf wendig wie mein kleiner Stinker. Das Fahrwerk ist zumindest Solo eher von der harten Sorte, aber auch nicht härter als von meiner Aprilia. Die großzügige Sitzbank dämpft die ärgsten Schläge immer noch ganz gut. Wahrscheinlich soll die Härte eine gewisse Sportlichkeit sugerieren...
Etwas kurios ist's mit dem Auf- und Absteigen: der sehr hohe "Mitteltunnel" verbaut den Durchstieg derart, dass zumindest für die Stiefel und Unterschenkel schon fast Motorrad-Feeling aufkommt, wenn man es erfolgreich in den Sattel geschafft hat. Das Aufsteigen geschieht daher am Besten in Motorradmanier. Zur besten Methode des Absteigens haben sich Fury und ich noch nicht so richtig einigen können, da die recht stark nach hinten ansteigende Sitzbank ein Absteigen nach Motorradart nur bei großer Gelenkigkeit des rechten Hüftgelenks zulässt. Wenn der viel zu lange Blechschlüssel nicht so im Weg wäre fiele mir das Drüberlupfen des rechten Fußes über den "Mitteltunnel" leichter
Zur Reichweite kann ich nur sagen, dass selbst bei 0°C meine maximal etwa 42km lange Runde zur und von der Arbeit in zwei verschiedenen Werken problemlos gemeistert wurde, wobei insgesamt ca. 25 km davon richtige "Vollstrom"-Strecke sind, inklusive 2 habhaften Steigungen von 50 bzw. 120 Höhenmetern. Eine Gute Prise Stadtverkehr ist auch dabei. Da die 120 Höhenmeter kurz vor Schluss anfallen hat sich das Voltmeter der "Tankanzeige" zwar bedenklich dem roten Rand genähert, aber das war nur lastbedingt, ein Leistungsverlust war noch nicht zu verspüren. Im L-Modus ist nur bei größeren Steigungen ein Zucken des Voltmeters zu bemerken, so dass das "L" sicher auch als "Langstrecke" interpretiert werden kann.
Noch zur Handhabung allgemein: Das Helmfach verdient noch seinen Namen, denn ein normaler Integralhelm passt noch rein. Da meiner den Luxus eines internen Sonnenschutzvisiers mit ca. 3cm mehr Höhe erkauft passt dieser jedoch nicht ganz rein. E-Sprit wird jedoch voraussichtlich in einigen Wochen einen Gepäckträger fertig haben, so dass endlich auch ein Topcase bei diesem Fahrzeug möglich wird, ein weltweites Novum für den Fury / Thunder / GK 183 / ... Die Sitzbank sollte idealerweise nicht bei eingeschlagenem Lenker aufgeklappt werden, weil sie nur so von selber offen bleibt. Sonst muss man sie offen halten, oder sie klappt wieder zu. Das Ladekabel (fest eingebautes Ladegerät mit Lüfter) findet keinen Kanal zwischen Karosse und Sitzbank vor, so dass es nur unter Androhung von Gewalt möglich ist, während dem Laden die Sitzbank einrasten zu lassen.
Der Seitenständer ist problemlos nutzbar, der Hauptständer prinzipiell auch, nur beim wieder Hochklappen muss man einmal mit dem Fuß nachsetzen, weil er auf halbem Weg stehenbleibt.
Zum Laden an sich: es gibt eine Reihe mehrerer grüner LED auf dem Mitteltunnel, die den jeweiligen Ladestand blinkend anzeigen. Da die letzen 10% der Ladung fast nochmals so viel Energie brauchen wie die vorigen 90% sollte nur vor wirklich langen Fahrten ganz geladen werden, was bei fast leerem Stromspeicher innerhalb von 5 bis 6h möglich ist.
Wenn die Projektionsscheinwerfer richtig eingestellt sind leuchten sie die Straße ganz gut aus. Da das Fernlicht beim Test-Fury allerdings zu tief eingestellt war wurde seine Wirkung dem des korrekt eingestellten Abblendlichts ähnlich... Zwei weiße Standlichter oberhalb der Scheinwerfer gibt es auch noch, doch deren praktischer Nutzen wollte sich mir bislang noch nicht erschließen.
Die Blinker geben bei der Arbeit das vom Auto bekannte, aber sehr dezente Klicken von sich. Das ist
wesentlich angenehmer als das Piepsen beim Innoscooter EM6000L.
Die Verarbeitung ist an allen sichtbaren Teilen eigentlich fast tadellos, wenn man von einigen leichten Gratresten an den Verkleidungen absieht. Alle sichtbaren Schrauben sind entweder austenitisch (Edelstahl) oder im Falle von 6-Kantschrauben verzinkt und schwarz passiviert. Die schwarzen Verkleidungsteile am Lenker haben eine etwas speckige Oberfläche, was nicht unbedingt dem High-End Anspruch dieses Rollertyps entspricht, aber auch keinen wirklichen Nachteil darstellt. Die Seitenverkleidung um die Sitzbank rum ist etwas labberig, weil sie unten rum nicht überall befestigt ist. Das stört aber nur, wenn man den Schlüssel ins Sitzbankschloss steckt und das Schloss dann etwas nachgibt. Ich hoffe nicht, dass das der Schließwirkung dieses Schlosses nicht entgegensteht
Mein Fazit: die mögliche Höchstgeschwindigkeit wird nur auf dem maßlos übertreibenden Tacho erreicht, es gibt eine leichte Anfahrschwäche, aber ansonsten macht der Fury so
RICHTIG Laune! So sehr, dass ich mich nach fast einem Jahr gründlichster Recherche und Vergleiche jetzt einen bestellt habe, in der Fassung mit aktivem BMS, und hoffentlich gleich mit Gepäckträger

Meine erste Fahrt wird zum Schlüsseldienst gehen, um mir einen Kürzeren nachmachen zu lassen, so dass eine Einigung mit diesem Pferd über die beste Methode des Absteigens erleichtert werden dürfte
